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Essen ist menschlich!

Dr. med. Peter R. Gartner
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In Anlehnung an das Sprichwort »Irren ist menschlich« wollen wir hier den Versuch unternehmen, ein wenig aufzuräumen mit einigen der unzähligen Halb- oder Unwahrheiten, die seit Jahrzehnten unseren Blick auf das Thema Ernährung trüben. Dr. Peter Gartner erklärt, was wirklich dran ist, wenn Mama predigt, dass Karotten gut für unsere Augen sind, und mehr …

Irrtum 1

Hilft Spinat gegen Eisenmangel?

Antwort: Nein! Ein Schweizer Forscher namens Gustav von Bunge untersuchte vor über hundert Jahren den Eisengehalt unterschiedlichster Nahrungsmittel, darunter auch jenen von Spinat – und notierte erstaunliche 35 Milligramm Eisen pro 100 Gramm Spinat. Ein Wert, der Jahrzehnte später von übereifrigen Ärzten ohne Hinterfragen einfach übernommen und so Ursache manches Generationenkonflikts bei Tisch wurde.

Hätten die Mediziner das Kleingedruckte gelesen, wäre wohl alles anders gekommen: Jener Schweizer hatte nämlich getrockneten Spinat – Spinatpulver in Dosen – untersucht und war so zu seinem sensationellen Ergebnis gekommen. Der Eisengehalt von nicht getrocknetem Spinat, egal ob frisch, passiert oder tiefgekühlt, liegt bei sehr bescheidenen 3,5 Milligramm – oh, wie viele Dramen am familiären Mittagstisch hätten verhindert werden können!

Irrtum 2

Sind Karotten gut für die Augen?

Antwort: Nein! Um gut sehen zu können, braucht es Physik und Chemie: Physik, weil alle optischen Einrichtungen des Auges perfekt justiert sein müssen, um scharfe Bilder auf die Netzhaut zu werfen. Und Chemie, weil Substanzen wie etwa Vitamin A zur Umwandlung des Bildes in einen Nervenreiz und damit zur Bildentstehung im Gehirn nötig sind. Ein Mangel an Vitamin A führt zu einer verminderten Bildung von Rhodopsin – so etwas wie unsere innere Nachtbildkamera –, das Sehen in der Dämmerung wird dann schlechter.

Vitamin A kann aber, falls über die Nahrung zu wenig aufgenommen wird, auch im Darm aus einer seiner Vorstufen (mit Namen Beta-Carotin) hergestellt werden. Und dieses Beta-Carotin findet sich, der Name verrät’s, unter anderem in Karotten. Theoretisch könnte also ein durch Vitamin-A- Mangel verursachtes schlechtes Dämmerungssehen durch immense Zufuhr von Karotten etwas gebessert werden, wirklich besser, also schärfer sehen kann man dadurch aber nicht.

Irrtum 3

Ist Grillen krebserregend?

Antwort: Ja, aber...! Beim Erhitzen von Eiweiß im Allgemeinen – und beim Grillen im Speziellen – entstehen tatsächlich Substanzen, die bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Theoretisch müsste man aber angesichts des ungebremsten Fleischverzehrs und der hemmungslosen Grillfreude in unseren Breiten deutlich mehr entsprechende Krebsfälle (nämlich Blasen- und Magen- krebs) zu sehen bekommen, als die offiziellen Zahlen nahelegen. Forscher rund um den Globus sind dieser Diskrepanz auf den Grund gegangen, und fanden heraus, dass die meisten Maßnahmen, die eifrige Grillmeister zwecks Verbesserung des Geschmackserlebnisses und Erhöhung der Bekömmlichkeit ergreifen, die Schädlichkeit der krebserregenden Substanzen massiv senken oder sogar deren Entstehung eklatant reduzieren können: Das Marinieren des Grillguts, die Verwendung von Senf, Kräutern und anderen Gewürzen oder die kräftige Dunkelfärbung beim direkten Grillen wirken kleine Wunder. Und frisch gezapftes Bier setzt die Krebserreger außer Gefecht. Nun ist es allerdings nicht so, dass das Grillen dadurch völlig ungefährlich würde – einzig: Die Dosis macht das Gift!

Irrtum 4

Wirkt Milch verschleimend?

Antwort: Nein!
In der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin, kennt man eine Reihe krankmachender Faktoren, unter denen neben dem Wind wohl der Schleim zu den gefürchtetsten gehört. Und in der Tat raten chinesische Ärzte vom Milchverzehr dringend ab – allerdings aus einem ganz besonderen Grund: Nahezu alle Menschen in Zentral- und Südasien verlieren genetisch bedingt bereits in der Kindheit die Fähigkeit, Milchzucker zu verdauen, sie werden laktoseintolerant. Nach der Einnahme laktosereicher Nahrungsmittel wie Milch kommt es bei ihnen zu Blähungen, Bauchschmerzen und vor allem Durchfall – ein Symptom, das in der TCM dem Faktor Schleim zugeordnet wird. Mit Verschleimung, wie wir sie verstehen, hat dies jedoch nichts zu tun.

Irrtum 5

Erhöht Salz den Blutdruck?

Antwort: Nein! Nur bei sehr alten Menschen führt übermäßige Salzzufuhr auch tatsächlich zu einer messbaren Erhöhung des Blutdrucks. Bei allen anderen Altersgruppen kann dieser Zusammenhang nicht beobachtet werden. Schuld an der Fabel vom blutdrucksteigernden Salz ist eine der größten Fälschungen der Medizingeschichte – die Intersalt-Studie. In dieser groß angelegten internationalen Analyse hätte eigentlich gezeigt werden sollen, dass der durchschnittliche Blutdruck jeder der über fünfzig untersuchten Bevölkerungsgruppen mit dem jeweils durchschnittlichen Salzkonsum dieser Gruppe korreliert. Fehlanzeige! Es konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang hergestellt werden. Zum Glück fanden sich aber auch einige wenige Bevölkerungsgruppen, die als statistische Ausreißer den bereits zuvor postulierten Zusammenhang zwischen Salz und Blutdruck scheinbar bestätigten. Und genau diese Daten wurden zu guter Letzt veröffentlicht. Seither glauben sogar die meisten Ärzte immer noch, dass Salz den Blutdruck erhöht.

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